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Level Up: Bewegungsmangel im Büro spielerisch bekämpfen

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In diesem Artikel untersuche ich im Rahmen einer Studie, ob Gamification dabei helfen kann, physische Aktivität im sedentären Arbeitsumfeld zu steigern, um dem Problem des Bewegungsmangels und dessen Folgen entgegenzuwirken.

Führt man sich seinen Alltag in der heutigen Zeit genauer vor Augen, erscheint bei vielen Menschen das folgende Bild: Man sitzt stundenlang am Bildschirm, verbringt den Feierabend auf dem Sofa und gönnt sich vielleicht noch ein kurzes Nickerchen. Sowohl im beruflichen als auch im freizeitlichen Umfeld finden wir uns heutzutage oft in sitzender oder liegender Position wieder. Dieses sogenannte *sedentäre* Verhalten kann langfristig zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen, wenn kein ausreichender Ausgleich durch körperliche Aktivität geschaffen wird.

Das Problem des Bewegungsmangels

Laut WHO gilt man als physisch inaktiv, wenn man weniger als 150 Min. moderate oder 75 Min. intensive Aktivität innerhalb einer Woche ausübt. Die Prävalenz physischer Inaktivität hat in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Während anfangs etwas mehr als jeder fünfte Erwachsene betroffen war, ist es mittlerweile fast jeder Dritte.

Warum bewegen sich nun so viele Menschen zu wenig? Zeitmangel, fehlende Motivation oder bereits bestehende gesundheitliche Beschwerden sind die häufigsten Gründe. Die zunehmende Digitalisierung hat viele Arbeitsplätze an den Bildschirm verlagert, und die COVID-19-Pandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt, indem viele das Homeoffice für sich entdeckten. Beides begünstigt das sedentäre Verhalten enorm und hat dazu geführt, dass sich das Problem von mangelnder Bewegung eher verschärft als verbessert.

Die Folgen von physischer Inaktivität können mit zunehmendem Alter schwerwiegend sein. Dazu gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rückenprobleme, Diabetes, ein erhöhtes Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz sowie verschiedene Krebsarten. Auch die psychische Gesundheit leidet unter mangelnder Bewegung, sodass auch das Risiko für Depressionen und Angstzustände erhöht ist. Wirtschaftlich betrachtet verursacht der Bewegungsmangel weltweit über 68 Milliarden US-Dollar Kosten pro Jahr. Laut WHO ist heute jeder zehnte frühzeitige Todesfall auf physische Inaktivität zurückzuführen.

Prävention wird allgemein eher als lästig empfunden, da man dadurch nur das Auftreten zukünftiger Probleme eingrenzt, aber bei der Durchführung selbst keinen unmittelbaren positiven Effekt wahrnimmt. Da die Motivation für präventive Maßnahmen ein essenzieller Faktor zur Bekämpfung des Problems ist, stellte sich für mich die Frage, ob man die Prävention von Bewegungsmangel nicht durch ein Konzept wie Gamification attraktiver gestalten kann.

Gamification als Lösung?

Was wäre, wenn man unbeliebte Aufgaben zur Prävention von Bewegungsmangel in ein spannendes Spiel verwandeln könnte?

Gamification bedeutet, spieltypische Elemente in eigentlich spielfremden Kontexten bewusst einzusetzen, um die Motivation zu steigern. Dazu gehören Belohnungen in Form von Punkten oder Abzeichen, Fortschrittsanzeigen und Wettbewerbe. Diese Elemente sprechen evolutionär bedingte menschliche Triebe wie Neugier, Exploration, Leistung und Geselligkeit an und rufen dadurch Motivation hervor.

Berufsgruppen in sedentären Arbeitsumfeldern wie dem Büro sind besonders durch die Folgen von physischer Inaktivität bedroht. Da am Arbeitsplatz ein Großteil der sitzend verbrachten Zeit entsteht, sollte das Problem zunächst hier angegangen werden. Mittlerweile gibt es dafür auch eine gesetzliche Regelung, die regelmäßige Pausen an Bildschirmarbeitsplätzen vorschreibt: Im Arbeitsschutzgesetz, darunter in der Arbeitsstättenverordnung § 3 Absatz 1 Abschnitt 6 heißt es unter Punkt 2 und 3

(2) Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die Tätigkeiten der Beschäftigten an Bildschirmgeräten insbesondere durch andere Tätigkeiten oder regelmäßige Erholungszeiten unterbrochen werden.

(3) Für die Beschäftigten ist ausreichend Raum für wechselnde Arbeitshaltungen und -bewegungen vorzusehen.

Studie: Effektivität von Gamification

Um den Effekt von Gamification auf die physische Aktivität zu untersuchen, wurde eine Studie in Form eines A/B-Tests durchgeführt. Dabei wurden Daten über die physische Aktivität von Nutzer:innen mithilfe einer Anwendung gesammelt. Die Anwendung begleitete die Nutzer:innen während des Arbeitstages und sollte sie zu regelmäßigen aktiven Aufgaben motivieren.

Anwendung iMOVEx

Stellen Sie sich nun vor, Sie sitzen an Ihrem Schreibtisch, vertieft in Ihre Arbeit, und plötzlich erscheint eine kleine Benachrichtigung auf Ihrem Bildschirm: „Zeit, kurz aufzustehen und sich zu dehnen!“ Zunächst sind Sie vielleicht sogar genervt von der Unterbrechung, aber dann denken Sie sich: „Warum nicht? Es dauert nur ein paar Minuten.“ Sie stehen auf, strecken sich, machen ein paar einfache Dehnübungen. Schon nach wenigen Augenblicken bemerken Sie, wie Ihre Muskeln sich lockern und Ihr Kopf wieder klarer wird. Ohne eine Erinnerung wäre das Aufbrechen der statischen Position bestimmt in der Arbeit untergegangen, oder? Genau das ist die Idee hinter iMOVEx.

Um die Vorschrift aus dem Arbeitsschutzgesetz umzusetzen, sollte die Anwendung am Arbeitstag zu kurzen, leicht integrierbaren Bewegungspausen auffordern. Sie erinnert dabei an regelmäßiges Aufstehen, kurze Dehn- und Mobilisationsübungen sowie eine bewegte Mittagspause. Durch die regelmäßige Unterbrechung der Sitzphasen wird die Muskelaktivität angeregt und die allgemeine körperliche Gesundheit gefördert. Die Anwendung wurde als webbasierte Lösung entwickelt, deren Nutzung hauptsächlich auf den Arbeitscomputer ausgelegt ist, sodass Erinnerungen direkt im Sichtfeld der Nutzer:innen erscheinen und effektiv in die statische Haltung eingreifen. Die Anwendung sollte dabei helfen, eine langfristige gesunde Routine für den Arbeitsalltag zu entwickeln und somit die Prävention von Bewegungsmangel zu unterstützen.

Es gab zwei Versionen der Anwendung: eine normale Version und eine gamifizierte Version mit den zusätzlichen Elementen einer Rangliste und einer Fortschrittsanzeige.

Version Normal

Die folgende Abbildung zeigt die normale, ungamifizierte Version der Anwendung.

Version Gamifiziert

Die folgende Abbildungen stellt die gamifizierte Version der Anwendung dar.

In beiden Versionen der Anwendung gibt der User initial seine Arbeitszeiten an, anhand welcher ein Stundenplan mit sieben Aufgaben für den Arbeitstag erstellt wird. Die Anwendung erinnert per Push-Nachricht im Laufe des Tages an die dargestellten Aufgaben. In der gamifizierten Version wurden zusätzliche Elemente wie eine Rangliste und eine Fortschrittsanzeige hinzugefügt. Diese Elemente wurden basierend auf Literaturrecherchen ausgewählt, da Elemente zur Selbstüberwachung und mit sozialem Faktor die Motivation besonders effektiv steigern. Die Anwendung wurde bewusst für eine geringe Nutzer:inneninteraktion konzipiert, um die Komplexität niedrig zu halten und somit eine Eignung für sämtliche Nutzungsgruppen sicherzustellen.

Ergebnisse und Erkenntnisse

Nach vier Wochen Nutzung wurden die Daten ausgewertet. Die Auswertung zeigte, dass der Durchschnitt der täglich abgeschlossenen Aufgaben bei der normalen Version bei 1,11 und bei der gamifizierten Version bei 1,24 lag. Der beste Durchschnitt lag bei 3,65 Aufgaben für die normale Version und bei 5,45 Aufgaben für die gamifizierte Version.

Die ermittelten Unterschiede zwischen den Gruppen waren zwar nicht statistisch signifikant, zeigten aber dennoch interessante Tendenzen zur möglichen Wirksamkeit und dem Potenzial der Gamification in diesem Kontext. Besonders die Rangliste beeinflusste die Motivation der Nutzer:innen, während die Fortschrittsanzeige weniger effektiv war. Auffällig war der hohe Anteil an Lowperformern in beiden Gruppen, was möglicherweise auf externe Faktoren wie den Testzeitraum oder die Länge der Studie zurückzuführen ist. Der Wettbewerb auf der Rangliste motivierte einige Nutzer:innen stark, während andere dadurch demotiviert wurden, insbesondere wenn sie später in die Studie einstiegen und die Aussicht auf eine Belohnung als unerreichbar empfanden.

Eine weitere Erkenntnis war, dass die Varianz in der gamifizierten Gruppe deutlich höher war, was auf eine unterschiedlich starke Wirkung der Gamification auf die Nutzer:innen hinweist. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Elemente der Gamification sorgfältig gestaltet werden müssen, um eine breite Nutzer:innenbasis anzusprechen, motivierende Effekte zu maximieren und demotivierende Effekte zu minimieren. Die allgemeine Abnahme der Nutzungsaktivität im Verlauf der Studie stimmt mit bestehenden Erkenntnissen aus der Literatur überein, dass der Effekt von Gamification oft kurzlebig ist. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Anpassung und Erneuerung der Gamification-Elemente, um das Interesse und die Motivation der User langfristig aufrechtzuerhalten.

Obwohl die Studie keine statistisch signifikante Steigerung der physischen Aktivität durch Gamification nachweisen konnte, zeigen die ersten Tendenzen und das User Feedback, dass Gamification Potenzial hat, die Motivation zur Bewegung zu erhöhen. Eine Wiederholung der Studie mit einer größeren und ausgeglicheneren Stichprobe könnte weitere Erkenntnisse liefern und helfen, das Problem des Bewegungsmangels effektiver zu bekämpfen.

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