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Unternehmen stehen durch die Zunahme an Komplexität und Dynamik des Marktes vor neuen Herausforderungen. Ein möglicher Lösungsansatz, den wir bei inovex immer häufiger beobachten, ist das Umstellen auf agiles Arbeiten. Im wirtschaftlichen Kontext bedeutet Agilität, schneller auf Veränderungen im Markt oder Kundenwünsche reagieren zu können. Mit der Anwendung verschiedener Methoden stellt sich die Frage, inwieweit ein Unternehmen agil handelt und somit Komplexität bewältigt.
Klare übereinstimmende Kriterien, wann ein Entwicklungsprozess oder eine Team-Struktur als agil gelten kann, gibt es nicht. Agile Reifegradmodelle (engl. Agile Maturity Models) versuchen, ein Bezugssystem zur Bewertung von Agilität zu etablieren. Sie sind Instrumente zur Bestimmung von Entwicklungsmöglichkeiten und umfassen eine Folge von Reifegraden. Die Zustände werden in einer stufenweisen Entwicklung dargestellt, bis letztendlich die höchste Entwicklungsstufe erreicht wird. Die Entwicklungsstufen zeigen einen erwarteten und logischen Entwicklungspfad. Der Fokus liegt auf den Zuständen, die in einer Reihenfolge schrittweise und evolutionär durchlaufen werden.
Zur Beantwortung der Frage „Wie bewertet man Agilität?“, bezogen auf eine Organisation oder ein Team, helfen uns folgende Fragen:
Wie kann Agilität gemessen werden?
Derzeit gibt es kein allgemein akzeptiertes Modell, um die agile Reife zu messen. Es gibt einige Reifegradmodelle, die durch die Beschreibungen von Levels und viele unterstützende Eigenschaften ein System zur Orientierung bieten. Dabei wird kein konkreter Prozess beschrieben. In einem agilen Prozess wäre dies auch nicht möglich, da Veränderungen und Anpassungen entscheidende Merkmale eines solchen sind. Die Grundlagen dieser Modelle sind überwiegend agile Werte und Prinzipien, die sich aus dem agilen Manifest von 2001 entwickelt und etabliert haben. Sie dienen zur Bestimmung von agilen Entwicklungsmöglichkeiten, indem sie agile Reife oder ein agiles Level anzeigen. Dies ermöglicht über den eigenen Standpunkt zu reflektieren. Es gibt viele verschiedene Ansätze und Aussagen, die die Bewältigung von Komplexität zum Ziel haben, daher muss jede Organisation einen Ansatz bzw. ein Modell finden, das den individuellen Anforderungen gerecht wird.
Wie ist der Status quo der vorhandenen Agilität? Wie erfolgt die Einordnung?
Die Einordnung der Agilität erfolgt durch einen internen oder externen Prüfer. Als Bewertungswerkzeug können agile Reifegradmodelle hinzugezogen werden. Die konkrete Anwendung erfolgt mit Bewertungsinstrumenten in Form von Umfragen, Interviews, Gruppendiskussionen, Checklisten und weiteren Methoden. Eine Organisation kann als Ganzes eingestuft werden oder inhaltlich getrennte Bereiche können individuell bewertet werden. Es ist darauf zu achten, dass die Bewertung lediglich einen Anhaltspunkt darstellt, um Erfolge und Hindernisse zu erfassen. Um die Unterschiede und Weiterentwicklungen festzuhalten, sind regelmäßig Bewertungen erforderlich.
In welchen Bereichen kann sich ein Unternehmen hin zur Agilität entwickeln?
Agile Reife ist nicht eindimensional, sondern kann als ein Spinnennetz betrachtet werden. Dimensionen sind dabei spezifische Bereiche, die ein Themengebiet ordnen und strukturieren. Es gibt in einem Reifegradmodell eine bestimmte Anzahl von strukturierenden Dimensionen. Die Bereiche sollten klar voneinander zu trennen sein, wenige Überschneidungen haben und die essenziellen Merkmale des Themenumfelds verkörpern.
Beispielsweise können die Stakeholder einer Produktentwicklung eine Dimension der agilen Reife darstellen. Stakeholder sind alle internen und externen Personen, die von der Produktentwicklung betroffen sind. Zum Beispiel die Marketing-Abteilung, der Kunde und die Konkurrenz. Mit der Kundenperspektive erhält die Organisation die Möglichkeit, die Perspektive des Kunden in die tägliche Arbeit des Entwicklungsteams zu integrieren, um sicherzustellen, dass geeignete und wertvolle Produkte entwickelt werden.
Das Produkt ist ein weiterer Bereich, der an Agilität wachsen kann. Der Bereich hat zum Ziel ein funktionierendes Produktinkrement zu entwickeln und enthält alles in Bezug auf die Spezifikation und Entwicklung des Produkt-bzw. Softwaresystems.
Die Produktentwicklung betrifft viele verschiedene Personen und umfasst Entwicklungsteams. Die Art, wie ein Entwicklungsteam Arbeit erledigt, kann eine weitere Dimension der agilen Reife bilden.
Welche Investitionen müssen getätigt werden, um an Agilität zu wachsen?
Aus den agilen Werten und Prinzipien lassen sich Praktiken und Vorgehensweisen ableiten. Wer jedoch Praktiken ausführt, ist damit noch nicht zwangsweise agil. Wer lediglich agile Handlungen implementiert ohne das Mindset zu übermitteln, kann die erwarteten Vorteile von Agilität nicht erfahren. Somit muss das agile Mindset stets vermittelt und gelebt werden, damit der Sinn der Praktiken verstanden wird. Die Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein agiles Mindset und agile Praktiken unterstützen, ist die Aufgabe der gesamten Organisation. Das bedeutet, dass neben den Kompetenzen der Mitarbeiter:innen auch die Beziehungen untereinander, der Managementansatz und die Unternehmenskultur Bereiche sind, an denen die Organisation an Agilität wachsen kann und Investitionen getätigt werden können.
Womit kann das Unternehmen dem Team unterstützend zur Seite stehen? Welche Maßnahmen sind dafür erforderlich?
Die Veränderungen vom klassischen Wasserfallmodell zur Agilität fordert einen bewussten Veränderungsprozess. Das Team soll hin zur Selbstorganisation gefördert werden. Zudem unterstützt die Organisation Menschen, sich auf die richtigen Probleme zu konzentrieren und beseitigt Hindernisse in der Entwicklung. Indem auf die Wünsche und Vorstellungen der Kunden eingegangen wird, kann sichergestellt werden, dass die richtigen Dinge getan und die richtigen Probleme gelöst werden können.
Speziell die Führungskräfte können den Mitarbeiter:innen beratend zur Seite stehen, indem Sie Ihnen durch Transparenz Handlungsfreiräume geben. Zudem ist Veränderungsmanagement im Unternehmen notwendig, um mit konkreten Maßnahmen Ängste, Unsicherheiten, Vorurteile und Unwissenheit zu bekämpfen.
Die Frage der Bewertung der eigenen Agilität ist wichtig, und diese sollten sich Organisationen und Entwicklungsteams regelmäßig stellen. Durch die Anwendung von Reifegradmodellen, die zum Ziel haben Agilität zu bewerten, können Entwicklungsmöglichkeiten und konkrete Maßnahmen entwickelt und eine agile Transformation unterstützt werden. Im Verlauf einer solchen Transformation kann das Modell in zyklischen Wiederholungen zum Einsatz kommen. Die agile Entwicklung des Unternehmens kann durch die Ergebnisse der Befragung sichtbar gemacht werden.
Modelle, deren Ziel es ist, den agilen Entwicklungsprozess zu bestimmen, können von Wissenschaftlern, von einer oder mehreren Person(en) oder von einem Unternehmen oder im Auftrag eines Unternehmens entwickelt werden. Überwiegend sind die Modelle in Textform und/oder mit Rastern beschrieben. Modelle, die auf Basis empirischer Untersuchungen entwickelt wurden, besitzen ein zusätzliches Bewertungsinstrument in Form von Fragebögen oder Spielkarten.
Nachfolgende Auswahl von Modellen unterschiedlicher Hintergründe gibt einen Überblick zu den verschiedenen Ansätzen, Agilität zu bewerten.
- [1] Patel, Chetankumar and Ramachandran, Muthu. “Agile maturity model (AMM): A Software Process Improvement framework for agile software development practices“ (2009)
- [2] Qumer, Asif and Henderson-Sellers, Brian. “A framework to support the evaluation, adoption and improvement of agile methods in practice“ (2008)
- [3] Humble, Jez and Russell, Rolf. “The Agile Maturity Model – Applied to Building and Releasing Software“ (2009)
- [4] Ambler, Scott W. “The agile scaling model (ASM): adapting agile methods for complex environments“ (2009)
- [5] Larsen, Diana and Shore, James. “The Agile Fluency Model“ (2012)
- [6] Kniberg, Henrik. „Squad Health Check model — visualizing what to improve“ (2014)
- [7] Boehm, Barry and Turner, Richard. “Balancing Agility and Discipline: A Guide for the Perplexed, Portable Documents“ (2003)
- [8] Sidky, Ahmed. “The Agile Adoption Process Framework Detailed Reference Document Agile Practices and Concepts with Assessment Indicators“ (2006)
- [9] Turetken, Oktay and Stojanov, Igor and Trienekens, Jos JM. “Assessing the adoption level of scaled agile development: a maturity model for scaled agile framework“ (2017)
Ein Ausblick
Mit der Einführung von Agilität sind einige Herausforderungen verbunden. Es ist anzunehmen, dass Unternehmen vermehrt das Bedürfnis haben, den Erfolg der Einführung von Agilität nachzuvollziehen und zu vergleichen. Es kann davon ausgegangen werden, dass weiterhin auf Reifegradmodelle zurückgegriffen wird, um die Leistungsfähigkeit zu bestimmen und um Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten. Durch die stetige Veröffentlichung von Reifegradmodellen aus der Wissenschaft und Praxis lässt sich dieses Verhalten ableiten.
Für das Unternehmen bleibt festzustellen, dass die Entwicklungsteams individuelle Fähigkeiten und Hindernisse haben. Verschiedene Entwicklungsteams innerhalb einer Organisation können unterschiedlich agile Reifegrade zeigen. Sie zu fördern und zu fordern, indem das Unternehmen die Teams unterstützt, ist eine zentrale Aufgabe.