Die Idee für Projekt „Foodicious“ wurde während meines Studiums in Kopenhagen geboren. In einem Single-Haushalt lebend hatte ich zwar viel Spaß am Kochen, jedoch einige Herausforderungen beim Einkauf und der Zubereitung: Aufgrund von zu großen Packungsgrößen, dem Wunsch nach Abwechslung oder schlechter Planung blieben Lebensmittel leider zu oft ungewollt übrig und mussten entsorgt werden. Und wenn ich unter dem Kilo Karotten noch rechtzeitig die halbe, nahezu abgelaufene Paprika entdeckte, dann fiel mir das Verwerten dieser und der übrigen Reste im Kühlschrank nicht immer leicht. Meistens lief es auf dieselbe Lösung hinaus: das Reste-Omelett. Über die Zeit frustrierte mich die zunehmende Eintönigkeit meiner eigenen Lebensmittel-Resteverwertung. Auch die Essensplanung, auf der Suche nach mehr Abwechslung beim Kochen, war für mich sehr aufwendig. An dieser Stelle entstand der Wunsch nach etwas, das mir dabei hilft, meine Lebensmittel optimal zu verwerten. Das heißt, ich wollte meine Lebensmittelreste minimieren und trotzdem abwechslungsreich kochen, angepasst an meinen Alltag.
Marktrecherche Teil 1
Auf der Suche nach einer Lösung begann ich mich zunehmend mit dem Thema Resteverwertung und Lebensmittelverschwendung auseinanderzusetzen. Das Ergebnis war schockierend. Jährlich produziert jeder Bundesbürger ca. 53 kg an vermeidbaren Lebensmittelabfällen, sprich 53 kg Lebensmittel, die eigentlich zum Verzehr gedacht sind, landen in der Tonne. Um es anders auszudrücken: ⅓ aller Lebensmittel wird verschwendet. Abgesehen davon, dass wir dadurch ca. 105 € pro Jahr unnötig ausgeben, trägt dieses Verhalten erheblich zum Klimawandel bei. 8% der Treibhausgas-Emissionen wird durch die globale Lebensmittelverschwendung verursacht. So viel zu den Fakten: Lebensmittelverschwendung ist ein großes und sehr ernstzunehmendes Problem. Die guten Nachrichten an dieser Stelle: das Bewusstsein für Nachhaltigkeit steigt. Diverse Initiativen und Unternehmen setzen sich gegen die Lebensmittelverschwendung ein, wie beispielsweise das Bundesministerium für Umwelt und Ernährung mit seiner App Beste Reste, das dänische Startup To Good to Go oder die Initiative foodsharing.
Neben meinen Recherchen zur Lebensmittelverschwendung durchforstete ich den App Store und das Web auf der Suche nach einer smarten Anwendung, die mir dabei helfen sollte, meinen Essensalltag besser zu organisieren. Jedoch blieb die Suche erfolglos. Bei jeder App oder Website fehlte mir was: keine gute UX/UI, keine smarte Rezeptsuche (bei der ich kochen konnte ohne wieder einkaufen zu gehen), keinen Überblick über den eigenen Bestand.
Die Interviews – qualitative Forschung
Felsenfest davon überzeugt, dass andere Menschen ebenfalls ein Problem mit der Resteverwertung haben (sonst würden wir nicht so viel wegschmeißen, oder?), wollte ich herausfinden, wer diese Menschen sind und wie ihr Alltag aussieht. Gewappnet mit dem Wissen um diverse Product-Discovery-Methoden, entschied ich mich für qualitative, semi-strukturierte Problem-Interviews.
Qualitative Forschung hat grundsätzlich zum Ziel, ein tiefergehendes Verständnis zu generieren und die zugrundeliegende Ursachen eines Sachverhaltes aufzudecken. Im Gegensatz zur quantitativen Forschung, bei der Zahlen & Fakten im Vordergrund stehen, zieht qualitative Forschung die Erkenntnisse primär aus Worten und Verhalten. Semi-strukturierte Interviews sind dabei eine von vielen Möglichkeiten, qualitativ zu forschen.
Ziel des Problem-Interviews war es herauszufinden, ob es ein Problem gibt, das eine ausreichend große Nutzer:innengruppe betrifft, für die es sich lohnt, eine Lösung zu entwickeln. Anders ausgedrückt waren die Interviews eine Möglichkeit, um eines der vier typischen Produktrisiken nach Cagan zu minimieren: das Value Risk. Das Value Risk befasst sich grundsätzlich mit der Frage, ob Nutzer:innen ein Produkt kaufen beziehungsweise benutzen würden, d.h. ob es einen Mehrwert für sie schafft. Die Problem-Interviews sind hierbei der erste Schritt, um zu identifizieren, welches Problem groß bzw. schwerwiegend genug ist, um es zu lösen. Im Idealfall befasst man sich erst nach der Problemfindung mit der Lösungsfindung bzw. dem konkreten Produkt (siehe Schaubild 1).
Insgesamt führte ich 51 Interviews mit den unterschiedlichsten Leuten, etwa jung vs. älter, single vs. verheiratet, mit vs. ohne Kinder, einkommensschwach vs. gut verdienend. Das Ergebnis war durchaus überraschend: Resteverwertung wird nicht als Problem wahrgenommen (57%). Interessanterweise gab es zwar sehr viele Probleme, die während der Resteverwertung auftraten, aber diese wurden nicht direkt mit dieser in Verbindung gebracht. Insgesamt waren es 18 Probleme, die von mindestens 2 Teilnehmer:innen genannt wurden. Beispielsweise hatten 20% der Teilnehmer:innen nach einem Tag keine Lust mehr auf dieselbe Zutat und 16% mangelte es an Kreativität, die eigenen Reste zu verwerten.
Die 3 größten Pain Points, die bei den Teilnehmer:innen häufig auftraten, waren jedoch die Folgenden: 1. Was ist in meinem Kühlschrank (24%)? 2. Wie lange halten sich meine Lebensmittel noch (26%)? und 3. Was kann ich daraus kochen? (56%)?
Marktrecherche Teil 2
Auf einer etwas höheren Abstraktionsebene versuchte ich parallel herauszufinden, wohin sich der Markt langfristig entwickelt. Zwei Trends waren für mich dominant. Zum Einen wird „Convenience“ für Nutzer:innen immer wichtiger. Mittlerweile können beispielsweise Rezept-Zutaten bei diversen Supermarktketten direkt online in den Warenkorb gelegt und an den Kunden verschickt werden. Theoretisch könnte dies dazu führen, dass Kunden gezielter einkaufen, die Verwertung der eingekauften Zutaten vorab geklärt ist und demnach weniger Lebensmittel verschwendet werden. Zum Anderen ist die Bewegung hin zur „Smart Kitchen“ unverkennbar. Unternehmen wie Samsung oder BSH geben vermehrt Einblicke in die „Küche der Zukunft“. Der Samsung Family Hub, der unter anderem Rezepte auf Basis der vorhandenen Zutaten generiert, ist bereits heute eine Option, um den Essensalltag besser zu strukturieren. Durchaus beeindruckt vom BSH Kitchen Assistenten „Mykie“ und dem IKEA „All-in-One Kitchen Table“ fehlte mir nach wie vor eine einfache, individualisierbare Lösung für Jedermann mit einer smarten Rezeptsuche.
Auf der Suche nach Produktideen
Mit den neu gewonnenen Informationen im Gepäck organisierte ich einen 2-stündigen Brainstorming-Workshop mit 3 Kolleg:innen, die meine Leidenschaft für das Kochen und die Abneigung gegenüber der Lebensmittelverschwendung teilen. Die große Frage, vor der wir standen, war: Ist es sinnvoll in diesen umkämpften und dynamischen Markt einzusteigen und wenn ja, für was wollen wir einstehen?
Nachdem alle Teilnehmer:innen mit den Interview-Ergebnissen sowie der Marktrecherche vertraut waren, bedienten wir uns einer Kreativitätsübung aus dem Google Design Sprint, den Crazy 8s. Ziel dieser Übung war es, so viele Solution-Ideen wie möglich zu generieren, welche die drei wichtigsten in den Interviews identifizierten Pain Points adressierten. Zusammengefasst sollten Ideen für folgende Leitfragen generiert werden: Wie befähigen wir unsere Nutzer, mit bestehenden Zutaten abwechslungsreich zu kochen? Wie stellen wir eine Übersicht über den Kühlschrankinhalt her? Wie stellen wir eine Übersicht über das Mindesthaltbarkeitsdatum her? Das Ergebnis waren 24 Produktideen – vom Reste-Call über eine Nachbarschafts-Cooking-Plattform bis hin zu einer Reminder-App. Die Vielfalt der Ideen war beeindruckend!
Der Golden Circle
Mit den verschiedenen Ideen im Gepäck überlegten wir uns, was uns antreibt und was wir mit unserem Produkt erreichen wollten. Um unsere Gedanken zu strukturieren, verwendeten wir den Golden Circle von Simon Sinek.
Unsere Vision
Warum wir das machen?
Wir als Team sind davon überzeugt, dass die Ressourcen auf unserem Planeten kostbar sind und bewusst verwertet werden sollen. Wir wollen die Welt ein Stück besser machen, indem wir weniger Lebensmittel verschwenden. Foodicious hilft uns dabei nicht nur bares Geld zu sparen, Abwechslung in unseren Essensalltag zu bringen und den Überblick über unseren Kühlschrankinhalt zu bewahren, sondern auch Freude am bewussten Umgang mit Lebensmitteln zu empfinden. Und dafür wollen wir uns einsetzen. Jeden Tag.
Wie wir es machen?
Im Gegensatz zu den Anbietern smarter, hipper Gadgets wollen wir etwas für Jedermann entwickeln, das durch eine intuitive UX/UI bedienbar ist. Durch unseren stetigen Fokus auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen adressieren wir gezielt die größten Pain Points in ihrem Alltag. Zudem verwenden wir innovative Technologien, um den Alltag und die Individualität unserer Nutzer:innen bestmöglich berücksichtigen zu können.
Was wir tun?
Nachdem wir die vielen Ideen nochmals besprochen und durchdacht haben, kamen wir zu dem Schluss, dass eine Food-App ein guter Startpunkt ist, um unsere Vision zu erreichen und unsere Technologie- und Design-Stärken zu nutzen. In der App soll der User die Möglichkeit haben, vorhandene Zutaten einzugeben, die dann automatisch mit ihrer Menge und dem Mindesthaltbarkeitsdatum gespeichert werden. Auf Basis des Bestands kann der/die Nutzer:in sich zutatenbasierte Rezepte generieren lassen, die im Idealfall keine weiteren Zutaten mehr benötigen. Bevor ein Lebensmittel abläuft, erhält der/die Nutzer:in eine Push Notification mit einem passenden Rezeptvorschlag.
Next Steps
Zusammenfassend hatten wir an diesem Punkt konkrete User Pain Points mit Hilfe der qualitativen Interviews sowie durch eine umfassende Marktrecherche identifiziert und eine erste Solution-Idea generiert, die im Einklang mit unserer Vision stand. Im nächsten Schritt mussten wir eine Ebene tiefer graben: Wie sollte der User Produkte in die App eingeben? Manuell? Per Bon-Scan? Ist das technisch überhaupt realisierbar? Wie sieht das Geschäftsmodell aus? Woher bekommen wir eine Rezeptdatenbank? Wie lässt sich das Mindesthaltbarkeitsdatum erfassen? In dem Wissen, dass wir nicht alle Fragen gleichzeitig beantworten können, begannen wir, die kritischsten Hypothesen iterativ zu testen. Wie wir das gemacht haben, welchen Herausforderungen wir begegnet sind und was wir in der Zukunft planen, ist Teil der nächsten Blogartikel. Doch wer eine kleine Sneak-Preview haben möchte, ist herzlich eingeladen, sich auf Foodicious.io umzuschauen.
Key Takeaways
- Sprich mit deinen Usern: Eine Idee besteht zu Beginn nur aus Hypothesen. Zwar kann man aufgrund von persönlichen Erfahrungen bereits ein gutes Bauchgefühl haben, aber dies sollte keine Entschuldigung sein, sich nicht am Markt herausfordern zu lassen. Nur durch direkte Interaktion mit der Zielgruppe entdeckt man, wo die eigentlichen Schmerzpunkte liegen und welche Lösungen vom Markt akzeptiert werden. Diese Insights sind, im Gegensatz zum Bauchgefühl, empirisch validiert. Im Fall von Foodicious haben wir beispielsweise gelernt, dass Resteverwertung zwar durchaus ein Problem ist, es aber nicht als solches wahrgenommen wird. Diese Erkenntnis hat große Auswirkungen auf die Gestaltung und die Vermarktung des Produkts.
- Qualitativ vor quantitativ: Bewegt man auf fachlichem Neuland, so ist es aus meiner Sicht immer notwendig, dass die qualitative Forschung den Grundstein legt, bevor man quantitative Erhebungen durchführt. Nur wenn man die Ursachen und Beweggründe für ein Verhalten oder eine Meinung verstanden hat, kann man die quantitativen Studien adäquat gestalten (z.B. Fokus der Fragen festlegen) und die akkumulierten Zahlen und Fakten sinnvoll interpretieren. Nachdem man eine erste Wissensbasis geschaffen hat, gehen qualitative und quantitative Forschung Hand in Hand und können sowohl parallel als auch abwechselnd stattfinden.
- Validiere das Problem und entwickle dann die Lösung: Grundsätzlich sollte man sich intensiv mit den Pain Points der User auseinandersetzen, bevor man sich auf eine Produktidee committed. Entwickelt man eine Lösung für ein Problem, das keines ist oder nur für eine sehr kleine Zielgruppe, so verschwendet man Ressourcen und Kapazität, die man sinnvoller hätte einsetzen können. Zwar ist es durchaus möglich und auch gängig, zuerst eine Produktidee zu haben, bevor man das Problem beleuchtet hat, jedoch sollte man letzterem genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie der Ideengenerierung.
- Sei überzeugt von deiner Vision: Eine starke Produktvision ist das A und O für eine starke Kundenbeziehung, aber auch für das Team. Die Vision dient als Orientierungspunkt für das Team und für die Produktentwicklung. Die Arbeitsweise sowie wichtige Produktentscheidungen (z.B. Features, Branding) werden an der Vision ausgerichtet. Ist man hierbei aber nicht ehrlich überzeugt, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man inkonsistente Entscheidungen trifft oder das eigene Verhalten den Erwartungshaltungen widerspricht. Über die Zeit verschwindet dadurch die Authentizität und die Vision wird bedeutungslos.