Illustration: Drei Personen stehen in der Mitte eines Verlaufs, der sich aus den Farben Blau, Rot, Türkis und Gelb zusammensetzt
Agile

Die wichtigsten Kompetenzen für Selbstorganisierte Teams

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Wir leben in einer Umwelt, die sich rapide verändert und in der sich Organisationen stetig an neue Bedingungen, z.B. neue Technologien und neue Kundenbedürfnisse, anpassen müssen. Bisherige vertikal-hierarchische Organisationsstrukturen bieten zwar stabile Prozesse in einer vorhersagbaren Umwelt, sind jedoch nicht für eine hohe Veränderungsgeschwindigkeit der Umwelt ausgelegt. Sie werden daher immer häufiger durch agile Organisationsformen mit flexiblen und flachen Hierarchien ersetzt. Dieser Trend setzt sich auch auf der Teamebene fort: Durch den Wegfall hierarchischer Strukturen werden agile, selbstorganisierte Teams mit einem hohen Reifegrad an Autonomie immer wichtiger, denn sie sind innovativer und anpassungsfähiger als traditionell organisierte Teams. Auch inovex ist in selbstorganisierte Teams strukturiert, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie nicht (von einer Führungskraft) geführt werden, sondern sich eigenverantwortlich führen und koordinieren. Allerdings bringt diese Form der Zusammenarbeit auch eine höhere Eigenverantwortung der Mitarbeitenden mit sich. Damit Selbstorganisation gut funktioniert und nicht zur Überforderung führt, bedarf es daher gewisser Kompetenzen der Teammitglieder. Doch welche sind das eigentlich genau?

Dieser Frage bin ich für inovex im Rahmen meiner Masterthesis nachgegangen, indem ich in einer empirischen Untersuchung 14 inovexler:innen zu ihren Erfahrungen hinsichtlich erfolgskritischer Kompetenzen in der selbstorganisierten Zusammenarbeit interviewt habe. Nachfolgend ist ein Auszug der wichtigsten Erkenntnisse dargestellt.

tl;dr

  • Kompetenz ist ein vielschichtiges Konstrukt, das je nach Definition neben Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen auch motivationale und somit handlungsleitende Elemente wie z.B. Werthaltungen umfasst
  • Kompetenzen können außerdem in vier Kompetenzbereiche eingeteilt werden: Personale Kompetenz, Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz, Sozial-kommunikative Kompetenz und Fachlich-methodische Kompetenz
  • Für die selbstorganisierte Zusammenarbeit sind Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse in den Bereichen der personalen sowie sozial-kommunikativen Kompetenz besonders wichtig.
  • Zudem sollten einige förderliche Werthaltungen von den Teammitgliedern verinnerlicht werden, allen voran Offenheit, Vertrauen, Mut, eine wertschätzende Grundhaltung und Transparenz
  • Für unterschiedliche Rollen lassen sich außerdem Unterschiede feststellen, welche Kompetenzen von besonderer Relevanz sind.

Wichtige Fähigkeiten für selbstorganisierte Teams 

„Kompetenz“ ist ein umfassender Begriff und lässt sich allgemein in vier Kompetenzbereiche untergliedern: personale Kompetenz, Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz, sozial-kommunikative Kompetenz und fachlich-methodische Kompetenz.  

Die personale Kompetenz beschreibt allgemein die Fähigkeit und Bereitschaft einer Person, eigenorganisiert und reflexiv zu handeln, eine produktive Grundeinstellung zu haben und sich selbst weiterzuentwickeln. In diesem Kompetenzbereich benannten die befragten inovexler:innen vergleichsweise viele Fähigkeiten, die für die selbstorganisierte Zusammenarbeit wichtig sind. Die folgenden drei Fähigkeiten wurden dabei am häufigsten genannt: 

  1. Selbstreflexion & eine realistische Selbsteinschätzung: Die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Arbeitsweise, Verhaltensweise, Einstellung und Meinungen und damit auch zur realistischen Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen 
  2. Lernbereitschaft & Wissbegierde: Der innere Antrieb, sich weiterentwickeln zu wollen, sich für fremde Fach- und Verantwortungsbereiche zu interessieren sowie die Annahme, seine Fähigkeiten überhaupt verbessern zu können („Growth Mindset“)  
  3. Ganzheitliches Denken: Die Fähigkeit, einen mentalen Schritt zurücktreten und eine Meta-Perspektive einzunehmen, um den Gesamtprozess bzw. das „große Ganze“ zu betrachten 

Unter der Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz wird die Fähigkeit und Bereitschaft einer Person verstanden, das eigene Handeln auf die Umsetzung von Absichten, Vorhaben, Plänen und Zielen zu richten. Umschrieben bedeutet sie also vor allem „tatkräftig sein“. Die befragten inovexler:innen benannten in diesem Bereich die folgenden drei Fähigkeiten als besonders wichtig: 

  1. Eigeninitiative, Proaktivität & die Übernahme von Verantwortung: Die Fähigkeit und Bereitschaft, proaktiv Aufgaben zu übernehmen, besonders, wenn Zuständigkeiten nicht eindeutig zuzuordnen sind; außerdem die proaktive Beteiligung an Abstimmungen innerhalb der Gruppe („sich einbringen wollen“) 
  2. Entscheidungsfähigkeit: Trotz einer gemeinschaftlichen Team-Entscheidungskultur in der Lage zu sein, selbstständig (kleinere) Entscheidungen zu treffen 
  3. Aushalten von Unsicherheit & Frustrationstoleranz: Unsicherheiten (z.B. bezüglich der weiteren Vorgehensweise oder des Ergebnisses) aushalten und mit Misserfolg produktiv umgehen können  

Unter der sozial-kommunikativen Kompetenz können sich wahrscheinlich viele bereits etwas vorstellen: Dieser Kompetenzbereich umfasst den Umgang mit anderen Personen im Sinne eines kommunikativen, kooperativen und gemeinschaftlichen Verhaltens. Ähnlich wie im Bereich der personalen Kompetenz, benannten die befragten inovexler:innen in diesem Bereich vergleichsweise viele Fähigkeiten als wichtig, wobei die folgenden drei am häufigsten genannt wurden: 

  1. Kommunikationsfähigkeit: Die Fähigkeit und Bereitschaft, mit anderen Personen erfolgreich und viel zu kommunizieren sowie aus einem Gespräch vorteilhafte Ergebnisse für beide Seiten zu erzielen
  2. Empathie: Einfühlvermögen besitzen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, sich in andere Personen hineinversetzen können, die „Stimmung im Raum“ lesen können 
  3. Teamfähigkeit: Kooperations- und Integrationsfähigkeit, Teamgeist, Rücksicht nehmen können, sein eigenes Handeln am Team ausrichten und Alleingänge vermeiden 

Als letzter betrachteter Bereich umfasst die fachlich-methodischen Kompetenz zum einen das Lösen von sachlichen Problemen, indem auf fachbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten (z.B. Prozesswissen, technische, betriebswirtschaftliche oder Sprachkenntnisse) zurückgegriffen wird. Zum anderen beinhaltet dieser Kompetenzbereich Kenntnisse über Methoden sowie deren zielführende und situationsgerechte Anwendung. In diesem Bereich nannten die Befragten die folgenden drei wichtigen Kenntnisse am häufigsten: 

  1. Methodenkenntnis: Generelle Kenntnis über agile Methoden und Techniken (z.B. Scrum Plannings, Dailies, Retros, Methoden zur Selbst- und Teamreflexion) und deren zielführender Einsatz 
  2. Fachexpertise: Sachverständigkeit über die Inhalte des eigenen Arbeitsbereichs verfügen, sachliche/technische Probleme selbstständig angehen können („sein Handwerk beherrschen“) 
  3. Coaching-Kenntnis: „Hilfe zur Selbsthilfe“ in einem 1:1-Betreuungsverhältnis leisten können, Fähigkeit zur Unterstützung bzw. Begleitung bei Problemlösungs- und Veränderungsprozessen  

Bei dieser langen Liste, die nur einen Auszug darstellt, mag der eine oder die andere vielleicht den Eindruck erhalten, dass die Anforderungen an Mitarbeitende in der selbstorganisierten Zusammenarbeit ganz schön hoch sind – denn wer beherrscht schon alles davon? Einige der befragten Personen betonten im Interview jedoch auch, dass es nicht zwingend darum gehe, dass jede Person im Team alle oben genannten Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse in hohen Ausprägungen besitzen müsse. Vielmehr ginge es darum, dass diese Kompetenzausprägungen generell innerhalb des selbstorganisierten Teams vorhanden sind, sodass individuelle Stärken und Schwächen gegenseitig ergänzt werden können.  

Wichtige Werthaltungen für selbstorganisierte Teams 

Etwas anders verhält es sich mit wichtigen Werthaltungen, die Mitarbeitende verinnerlichen sollten, wenn sie erfolgreich selbstorganisiert zusammenarbeiten wollen. Obwohl viele wahrscheinlich nicht an „Werthaltungen“ denken, wenn es um „Kompetenz“ geht, können verinnerlichte Werte – genauso wie andere motivationale Aspekte wie z.B. verinnerlichte Normen, Emotionen und Erfahrungen – als eine Komponente von Kompetenz betrachtet werden. Anders gesagt: Je nach zugrundeliegendem Kompetenzverständnis besteht Kompetenz nicht allein aus Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen, sondern wird auch durch motivationale Komponenten beeinflusst. Dies wird vielleicht deutlicher, wenn man bedenkt, dass Kompetenz selbst nicht beobachtbar bzw. messbar ist, sondern lediglich kompetentes Verhalten (die sogenannte „Performanz“). Da menschliches Verhalten und Handeln nun aber auch stets an motivationale Aspekte geknüpft ist, muss auch Kompetenz etwas mit motivationalen Komponenten zu tun haben, wozu auch die verinnerlichten Werthaltungen zählen. Zusammengefasst kann man also sagen: Kompetenz ist nicht nur Können, sondern ein Stückweit auch Wollen. Aus diesem Grund wurden die befragten inovexler:innen nicht nur nach Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse gefragt, die für die selbstorganisierte Zusammenarbeit unerlässlich sind, sondern darüber hinaus auch nach wichtigen Werthaltungen und Glaubenssätzen, die – im Gegensatz zu den obigen Eigenschaften – möglichst jede Person im Team mitbringen sollte. Die folgenden fünf Werthaltungen wurden dabei am häufigsten genannt:    

  1. Offenheit: Zum einen Offenheit im Sinne einer aufrichtigen und ehrlichen Kommunikation, in der Probleme und Verbesserungsvorschläge direkt kommuniziert werden; zum anderen Offenheit im Sinne von Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Meinungen, Ergebnissen und Veränderungen („open minded sein“)  
  2. Vertrauen: den anderen Teammitgliedern Vertrauen entgegenbringen; eigene Fehler und Schwächen offenlegen können, ohne dabei etwas „befürchten“ zu müssen 
  3. Mut: eine mutige Grundhaltung, die sich in vielen anderen wichtigen Fähigkeiten und Werten spiegelt, z.B. Mut, die Dinge offen anzusprechen, Mut, neue Technologien und Prozesse auszuprobieren und Mut, Entscheidungen (auch mal allein) zu fällen 
  4. Wertschätzende Grundhaltung: anderen Menschen grundsätzlich respektvoll und auf Augenhöhe begegnen, auch in stressigen oder konfliktreichen Situationen wertschätzend kommunizieren 
  5. Transparenz: in der Aufgabenverteilung und im Aufgabenaufwand („wer macht gerade was und wie kommen die anderen damit zurecht?“), bezüglich eventueller Probleme und Hürden, bezüglich Stärken, Schwächen und Erwartungen anderer Teammitglieder sowie eine generelle Informationstransparenz (kein Zurückhalten von Informationen) 

Das Schaubild fasst die obigen Ergebnisse auf einen Blick zusammen:  

Vier Quadranten zeigen die Kompetenzen selbstorganisierter Teams

Wichtige rollenspezifische Kompetenzen  

Neben Kompetenzen, die in der selbstorganisierten Zusammenarbeit allgemein wichtig sind, wurde in der Masterarbeit auch der Frage nachgegangen, ob sich Kompetenzen identifizieren lassen, die für die Ausübung bestimmter Rollen besonders erfolgskritisch sind. Konkret wurden dabei die Rollen der Teamleads, der internen Mitarbeitenden*, der Product Owner, der Scrum Master und der Entwickler:innen betrachtet. Hier ein kurzer Einblick in die wichtigsten Erkenntnisse: 

  • Für Teamleads ist besonders förderlich, mit der Methode des Coaching-Ansatzes vertraut zu sein und sich demnach als Prozessbegleiter:in zu verstehen, der bzw. die sich für die Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen des Mitarbeitenden einsetzt. Zudem ist Vertrauen zu geben und zu schaffen in der Rolle besonders wichtig.  
  • Interne Mitarbeitende brauchen vor allem ausreichendes spezifisches Fachwissen sowie die Fähigkeit zum ganzheitlichen Denken, um regelmäßig eine Meta-Perspektive einzunehmen und aktuelle Prozesse und Entscheidungen kritisch hinterfragen zu können.  
  • Für Product Owner ist eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit, insbesondere gegenüber Kunden und dem Entwickler-Team, besonders wichtig. Auch ist ein gutes Planungsverhalten für die Rolle erfolgskritisch, womit gemeint ist, ein übergeordnetes Ziel in kleine Aufgabenpakete herunterbrechen zu können. 
  • Scrum Master sollten vor allem Empathie und Einfühlvermögen mitbringen, damit sie merken, was die Teammitglieder gerade brauchen und wann ein „Elefant im Raum“ steht. Außerdem ist wichtig, dem Team bei Bedarf Anleitung, Führung bzw. Struktur im Sinne des Servant Leadership Ansatzes bereitzustellen.  
  • Entwickler:innen sollten neben einer hohen technischen Fachexpertise auch Kommunikationsfähigkeit besitzen, sodass sie Informationen proaktiv teilen und sich vor allem gegenüber fachfremden Personen verständlich ausdrücken können.  

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