Auch wenn die dunkle Jahreszeit in unseren Breitengraden sich nur allmählich wieder freundlicher zeigt, sind die globalen Aktienmärkte bereits wieder in Feierlaune. Insbesondere in den USA brechen die Aktienindizes Rekorde. Bei genauerem Hinsehen steht vor allem die Tech-Branche im Mittelpunkt der Euphorie, und dabei sticht das Thema KI besonders heraus (meist werden hier Nvidia, Microsoft und Meta genannt). Alles, was sich mit KI verbinden lässt, hat keine Schwierigkeiten, ins Gespräch und an Finanzierungsquellen zu kommen.
Daher verwundert es nicht, dass auch innerhalb der Tech-Branche das Thema KI alles andere überstrahlt. Bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas wurde von einem Tsunami der KI berichtet. Nvidias CEO Jensen Huang wird zu seiner Führungsphilosophie im Harvard Business Review Podcast befragt. Zahlreiche hochwertige Forschungsarbeiten erscheinen weiterhin mit hoher Schlagzahl und werden viel gelesen. Bei Papers With Code gibt es mehr als genug Material allein aus den letzten Monaten zu schmökern, ganz zu schweigen von der Sammlung von Best of Machine Learning Papers With Code.
Schon seit den Anfangszeiten dieser Kolumne im Jahr 2015, in Zeiten der KI-Renaissance, meist noch unter dem Begriff “Deep Learning“, bin ich fasziniert von den Möglichkeiten und Perspektiven von KI. Diese sollten allerdings nicht unseren Blick verstellen auf die Schwächen und Risiken von KI, wie auch aktuelle Arbeiten zu Täuschung und Ehrlichkeit von KI deutlich machen. Denn KI ist nicht automatisch die magische Lösung unserer IT-Probleme. So ist ein GPT-Proxy, ein selbst-gehostetes Large Language Model (LLM) oder ein neu gegründetes RAG-Team (Retrieval Augmented Generation) noch keine Garantie, alle Chancen und Risiken im Blick zu behalten und die erhofften Mehrwerte des KI-Einsatzes zu ernten. Hier hilft es sicherlich, Menschen mit langjähriger Erfahrung mit im Boot zu haben.
Schauen wir dann doch noch bei Hacker News über den Tellerrand, so finden wir zwei sehr populäre Stories plus Diskussionen in diesem Monat, die nichts direkt mit KI zu tun haben. Die amüsante und gut erzählte Story des Reverse Engineering eines funktionslosen Touch Screens in einer britischen Apartmentwohnung und (Triggerwarnung) der schwer zu ertragenden und im wahrsten Sinne des Wortes herzzerreißenden Verzweiflung eines amerikanischen Spieleentwicklers, dessen siebenjähriger Sohn im Sterben liegt. Die Verarbeitung seines Schmerzes (Triggerwarnung) in der düsteren Erzählung Four Magic Words schließt unseren Kreis wieder hin zum Thema KI, aber lässt mich nachdenklich zurück. Mögen wir alle achtsam, vorsichtig und menschlich beim Umgang mit KI bleiben!
„It is best to love first what you are fitted to love, I suppose: you must start somewhere and have some roots, and the soil of the Shire is deep.“
— The Lord of the Rings, J.R.R. Tolkien.
Stay healthy, stay hungry, stay foolish.
Herzlichst,
Christian Meder