ARCUS Kliniken und Praxen Automatisierte Bettenplanung mittels mathematischer Optimierung
ARCUS: Automatisierte Bettenplanung mittels mathematischer Optimierung
Die ARCUS Kliniken und Praxen treiben zusammen mit inovex die Digitalisierung ihrer Klinikverwaltung und des Patient:innenangebots voran. Nachdem bereits digitale Lösungen für Patient:innen sowie die Klinikorganisation entstanden sind, wurde im aktuellen Projekt die Bettenplanung durch den Einsatz von mathematischer Modellierung optimiert. Das System plant unter Einbezug der relevanten Parameter die Bettenbelegung der Kliniken – vollautomatisiert und intelligent.
Aus der Zusammenarbeit zwischen ARCUS und inovex ist bisher das digitale Patientenportal myARCUS hervorgegangen, das wertstiftende digitale Services für ihre Patient:innen bereitstellt.
Dadurch können mitunter Sprechstundentermine und OP-Termine nun bequem von zuhause vereinbart werden. Um die OP-Planung effizienter, flexibler und sicherer zu machen, wurde zeitgleich das interne Termin- und Ressourcenverwaltungstool ARCUSflow entwickelt. ARCUSflow bezieht für die OP-Planung alle relevanten Parameter (teil-)automatisiert mit ein: medizinische Rahmenbedingungen, Personalverfügbarkeiten, OP-Saal-Kapazitäten sowie nun auch die optimierte und vollautomatisierte Bettenplanung.
Excel-Planung war gestern
In der Vergangenheit war die Bettenplanung ein komplizierter Prozess, der historisch gewachsen ist und vorerst mittels Excel digitalisiert wurde. Die Herausforderung der Planung liegt in der Komplexität der zu berücksichtigenden Parameter.
Zur Planung einer Bettenbelegung müssen unter anderem folgende Fragen beantwortet werden: Wie lange bleibt ein:e Patient:in? Ist eine Überwachung in einem Überwachungszimmer notwendig? Liegt ein Infekt vor und muss das Zimmer einzeln belegt werden? Besteht ein Anspruch auf ein Einzelzimmer, Doppelzimmer oder Mehrbettzimmer? Wird die Privatstation oder die Kassenstation beansprucht? Ist eine Begleitperson notwendig? Wie viel Personal ist vorhanden zu diesem Zeitpunkt?
Diese Komplexität wurde durch den Einsatz von Farben, Kommentaren und Symbolen im Excel-Dokument individuell bewältigt. Das System war jedoch unübersichtlich, nicht intuitiv und zeitaufwendig. Zusätzlich führte die asynchrone Bearbeitung zu Fehlern und unterschiedlichen Versionsständen.
Teilautomatisierung der Bettenbelegung
Der neu entwickelte Bettenplan berücksichtigte im ersten Schritt automatisch die wichtigsten Parameter aus der OP-Planung: den vorgeschriebenen Aufenthalt, die medizinischen Notwendigkeiten (z. B. Überwachung) und den Zimmerwunsch (Größe, Station). Gab es ein freies Zimmer, wurden Patient:innen direkt eingebucht. Falls nicht, landeten sie in der Arbeitsliste, von wo aus die Fachabteilung per Drag & Drop manuell ein freies Zimmer buchen konnte.
Im zweiten Schritt wurden auch „Downgrades“ in Kauf genommen, um Patient:innen überhaupt erst einen Aufenthalt zu ermöglichen. Beispielsweise wurden Zimmer in einer anderen Kategorie vorgeschlagen (beispielsweise Doppelzimmer statt Einzelzimmer) oder mit einer Verlegung während des Besuchs.
Die (teil-)automatisierte Bettenplanung führte bereits zu einer sehr großen Zeitersparnis, einer besseren Bettenauslastung und weniger Fehlern. Aber auch bei dieser Planung gab es Grenzen: Lagen Patient:innen erstmal in einem Bett, wurde die Belegung nicht mehr verändert. Das führte bei der Gesamtplanung dazu, dass „die letzten Prozent“ einer möglichen Belegung nicht ausgeschöpft werden konnten, weil zum Beispiel acht Patient:innen von verschiedenen Stationen hätten verlegt werden müssen, um noch einen Aufenthalt von zwei Tagen in einem Zimmer frei zu bekommen. Solche Probleme sind zu komplex, um sie im Klinikalltag effektiv manuell zu lösen. Deshalb wurde im dritten Schritt eine mathematische Optimierung eingesetzt, die automatisch einen optimalen Bettenplan für die kommende Woche generiert.
Bettenplanung durch mathematische Modellierung
Um die Bettenplanung durch mathematische Optimierung zu verbessern, muss zunächst die „zulässige Menge“, aus der ein Bettenplan gewählt werden kann, definiert werden. Hiermit wird etwa festgelegt, dass in einem Zweibettzimmer nie mehr als zwei Patient:innen sein können, oder dass zur gleichen Zeit entweder nur weibliche oder männliche Patienten in einem Zimmer liegen dürfen.
Der zweite Teil der mathematischen Modellierung ist die Beschreibung der Optimierungsziele. Damit sollen unerwünschte Ereignisse festgelegt werden, deren Auftreten es zu minimieren gilt. Zum Beispiel sollte ein medizinisch nicht begründetes Verlegen von Patient:innen zwischen zwei Zimmern vermieden werden, aber nicht gänzlich ausgeschlossen sein, sofern man an anderer Stelle dadurch einen höheren Nutzen erzielen kann.
Ein wesentlicher Teil der Problemmodellierung besteht darin, zu überlegen, welche Eigenschaften harte Beschränkungen sind und welche nur möglichst gut erreicht werden sollen. Letztere müssen durch Gewichtung so ausbalanciert werden, dass sie möglichst genau die Realität widerspiegeln.
Ein herausragender Vorteil einer präzisen mathematischen Modellierung liegt darin, dass Aussagen über Existenz und Eindeutigkeit von optimalen Lösungen getroffen werden können. Idealerweise lässt sich über eine zulässige Lösung sagen, dass es unter keinen Umständen eine bessere gibt.
Kontinuierliche Verringerung der Komplexität
Um zu überprüfen, wie effektiv die Software unter Einsatz der mathematischen Modellierung arbeitet, wurde zunächst in einem Proof of Concept (PoC) ein ganzer Monat in der Vergangenheit betrachtet und untersucht, was an der tatsächlichen, handgemachten Belegung hätte verbessert werden können. Die hohe Dimension des Problems (Anzahl der OPs x Mögliche Zimmer pro Tag pro Patient x Tage des jeweiligen Aufenthalts) stellte sich als zu komplex heraus, um sie schnell genug zu berechnen. Lösungen konnten in der Regel nicht in unter 24 Stunden mit State-of-the-Art Soft- und Hardware berechnet werden.
Durch die Zusammenarbeit mit dem Klinikpersonal wurde klar, dass die Zulässigkeit einer Lösung wichtiger ist als ihre Optimalität. So muss etwa die Geschlechtertrennung in den Zimmer stets erfüllt sein, während ein nicht erfüllter Einzelzimmerwunsch nach Absprache verschmerzbar ist. Auf dieser Basis konnte eine Methodik entwickelt werden, die sich auf das Erreichen der Zulässigkeit konzentriert und in der verbleibenden Zeit dann Verbesserungen erzielt.
Um die Komplexität weiter zu reduzieren, wurden nur zufällig gewählte Patientengruppen als variabel betrachtet. Alle anderen Gruppen werden als schon in einem zulässigen Zimmer liegend angenommen. Die daraus entstehenden „Teilprobleme“ haben eine erheblich verringerte Komplexität und können dann schrittweise gelöst werden.
Das Ergebnis ist eine bereits nach hinreichend kurzer Zeit zulässige Belegung, die sich während der folgenden Iterationen entsprechend der gewählten Zielfaktoren verbessert. So lässt sich die nicht vorhersagbare Laufzeit durch einen Kompromiss bei der Optimalität kontrollieren. Für den ersten praktischen Einsatz des Optimierungstools wurden als Zeitraum die zukünftigen fünf Tage gewählt und die Software einmal nachts zum Datumswechsel ausgeführt.
Verbesserungen durch enge Zusammenarbeit
Da sich im Verlauf des Tages auf Stationen kurzfristige Änderungen ergeben, sollte das Tool im nächsten Schritt auch im Live-Einsatz darauf reagieren können. Dafür wurde der gewählten mathematischen Methodik erlaubt, bei kleinen Änderungen an den Ausgangsdaten eine zuvor optimierte Lösung als Startwert zu verwenden. Somit kann signifikant Zeit eingespart werden, sodass etwa das Einpflegen einer weiteren Operation im Bereich von Sekunden bis wenigen Minuten realisierbar ist.
Bei den regelmäßigen Rücksprachen mit dem Stationspersonal wurden viele Lektionen gelernt und Verbesserungen am Modell und dem Betrieb ermöglicht. Beispielsweise konnte schnell identifiziert werden, dass das Stationspersonal eine Vielzahl von Gründen haben könnte, sich punktuell gegen die mathematisch optimierte Lösung zu entscheiden. So können in Einzelfällen Zimmer belegt werden, die den modellierten Nebenbedingungen widersprechen und das Modell somit unzulässig werden lassen. Als Lösung wurde im Frontend den Benutzer:innen die Möglichkeit überlassen, Belegungen „zu pinnen“. Dies bewirkt ein Festlegen der entsprechenden Variablen im mathematischen Modell und Entfernen der inkonsistenten Nebenbedingungen.
Mehr freie Kapazität und effizientere Arbeitsabläufe
Im heutigen Einsatz spart der automatisch optimierte Bettenplan sehr viel operative Kapazität, die nun an anderen Stellen sinnvoll eingesetzt werden kann. Ebenso zeigt der optimierte Plan Möglichkeiten für eine höhere Auslastung bei besserer Zimmerzuordnung für die Patient:innen auf, die durch menschliches Betrachten nicht gefunden werden können. Somit konnten sowohl die Patientenzufriedenheit als auch die interne Effizienz gesteigert werden.
Projekthinweis
Meliha Benzenhöfer
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